KI ENTLANG DES KUNDENLEBENSZYKLUS
KI IM MARKETING ENTLANG DES KUNDENLEBENSZYKLUS
Produkt, Preis, Distribution und Kommunikation — die Fundamente einer erfolgreichen Produktvermarktung, wie sie in den 1960er Jahren von Jerome McCarthy formuliert wurden, haben bis heute Bestand. Doch in den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Landschaft erheblich gewandelt, und die Komplexität dieses Szenarios hat sich exponentiell vervielfacht.
Je komplexer, desto KI: Künstliche Intelligenz wird dort interessant, wo komplexe Datenströme und Entscheidungen in Echtzeit regelbasierte Systeme überfordern. Um konkrete Anwendungsfelder von KI im Marketing zu beleuchten, begleiten wir einen fiktiven Kundenlebenszyklus: vom ersten Interesse potenzieller Kunden an Produkten und Services bis hin zur Vertragskündigung — oder, im besten Fall, zur langfristigen Kundenbindung.
PHASE 1: ENTDECKEN MIT LEAD-FILTERN
In der ersten Phase ist es für den Vermarkter entscheidend, die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden zu gewinnen, idealerweise jene, für die das spezifische Produkt entwickelt wurde. Durch den Einsatz von KI-Tools wird die herkömmliche »Gießkannen«-Methode mit ihren hohen Streuverlusten abgelöst. Stattdessen ermöglicht die präzise Identifikation, welcher Kunde wann kontaktiert werden sollte, eine gezieltere Vorgehensweise. Eine gängige Anwendung ist der Auswahlprozess, um vielversprechende Kontakte herauszufiltern, auch bekannt als Lead-Profiling. In frühen Phasen, in denen das Ziel ist, potenzielle Kunden auf sich aufmerksam zu machen, kann KI dabei unterstützen, aus der Vielzahl möglicher Interessenten das größte Potenzial zu extrahieren. Hierbei kann sie Profile von Interessenten erstellen und das Verhalten vielversprechender Leads präzise prognostizieren.
PHASE 2: EXPLORE — ERKUNDEN MIT TARGETING
Durch den geschickten Einsatz innovativer Lead-Filter-Technologie werden Wunschkunden auf das Anbieter-Unternehmen aufmerksam und begeben sich auf Entdeckungsreise. Die potenziellen Kunden stöbern auf der Webseite, evaluieren verschiedene Angebote und ziehen Vergleiche, während sie aktiv nach Rankings, Rezensionen und Produktkritiken suchen. Marketing-Experten im Onlinebereich setzen gezielte Targeting-Methoden ein, um maßgeschneiderte Inhalte für jeden einzelnen Interessenten bereitzustellen. Ihr Hauptziel besteht darin, den potenziellen Kunden von ihrem Angebot zu überzeugen. Ein Anwendungsbeispiel für KI wäre das sogenannte »Pre-Targeting«. Dabei sammelt die KI basierend auf dem Surfverhalten des Kunden alle relevanten Informationen, um seine zukünftigen Handlungen zu prognostizieren. Hierbei vergleicht sie sein Verhalten mit dem von anderen Interessenten sowie mit allen erlernten Mustern. Ähnlich dem Re-Targeting werden Werbebanner eingesetzt oder auf der Webseite gezielte Informationen prominent platziert. Gleichzeitig überwacht die KI jede seiner Reaktionen, um ihr Prognoseprofil kontinuierlich zu verfeinern.
PHASE 3: BUY — KAUFEN AUF EMPFEHLUNG
Der potenzielle Kunde hat den Entschluss gefasst und bewegt sich nun im Onlineshop auf den Kassenbereich zu. Neben der Gewährleistung eines reibungslosen Check-out-Prozesses bietet dieser Schritt die Gelegenheit, dem Kunden ergänzende Produkte anzubieten. Recommendation-Engines, auch als Empfehlungsmaschinen bekannt, gehören heute zur Standardausstattung eines Onlineshops. Mithilfe kollaborativer Filter werden das Verhalten und die Vorlieben der Kunden im Shop analysiert und mit denen anderer Kunden verglichen, um Empfehlungen auszusprechen — zum Beispiel: »Kunden, die Produkt A gekauft haben, interessieren sich auch für Produkt B«.
Herkömmliche Empfehlungsmaschinen berücksichtigen oft nur das vergangene Nutzerverhalten und ziehen weder die Pläne des Kunden noch mögliche zukünftige Einkäufe in Betracht. Es könnte beispielsweise sein, dass der Kunde bereits das neue Modell ausgewählt hat, wodurch eine Empfehlung für dieses Produkt überflüssig wäre. KI-basierte Empfehlungsmaschinen können diese Lücke schließen, da sie das Konzept des selbstverstärkenden Lernens (Reinforcement Learning) nutzen. Während der Kunde durch den Webshop zur Kasse navigiert, identifizieren diese Empfehlungsmaschinen passende Empfehlungen für jeden relevanten Interaktionszustand, wie etwa das Betrachten eines Produkts im Webshop. Dadurch werden gezielte Vorschläge für Produkte, Informationen oder Preise unterbreitet, um langfristig Umsatz und Kundenwert zu maximieren.
PHASE 4: USE — ANREICHERN MIT CONTENT MARKETING
Der allererste Kauf ist getätigt, und voller Vorfreude begibt sich der Kunde auf die ersten Schritte mit dem neuen Produkt oder Service. Content Marketing kann ihm in dieser Phase praktische Anleitung und Mehrwert bieten, um sein Erlebnis positiv zu gestalten. KI kann hier durch das Erzeugen oder das Miteinanderverknüpfen, Veröffentlichen und Verteilen von Inhalten als starke Stütze dienen. Organisationen, die große Mengen an Inhalten produzieren möchten, ohne eine große Anzahl von Redakteuren beschäftigen zu müssen, setzen KI-Algorithmen ein. Diese Algorithmen durchforsten das Internet automatisch nach Informationen und erstellen daraus lesbare Artikel. Global agierende Unternehmen können heute mithilfe von KI im Content Marketing Artikel oder Beiträge in Echtzeit in die jeweilige Muttersprache des Kunden übersetzen. Dies geschieht je nachdem, von wo aus der Kunde zugreift und in welcher Sprache er bevorzugt im Internet kommuniziert.
In absehbarer Zeit werden auch KI-Anwendungen im Einsatz sein, die bereits verfasste Texte umgehend an die individuellen Sprech- und Lesegewohnheiten der Nutzer anpassen können. Dadurch wird beispielsweise eine technische Anleitung sowohl für Fachleute als auch für Laien verständlich. Im Bereich der Informationsverteilung setzen viele Algorithmen heutzutage auf Content-Empfehlungen. Anstelle eines einheitlichen Artikels wird personalisierter Content angeboten, der auf die individuellen Interessen und Vorlieben des Lesers zugeschnitten ist — eine Form der maßgeschneiderten Individualisierung von Masseninhalten.
PHASE 5: ASK — ANTWORTEN MIT CHATBOTS
In einer komplett digitalisierten Zukunft werden Kunden auch trotz der Fülle an Content-Marketing-Impulsen weiterhin Fragen zu Produkten oder Services haben und ihre Unsicherheiten klären wollen. In den letzten Jahren haben Unternehmen in Bezug auf die Kundenkommunikation Versuche mit Chatbots unternommen, um automatisiert einfache Anfragen zu bearbeiten. Diese Systeme folgen festgelegten Regeln und werden darauf trainiert, auf gängige Fragen wie zum Beispiel Umtausch oder Öffnungszeiten zu antworten. Allerdings sind sie stark eingeschränkt, denn wenn eine Kundenfrage von der Norm abweicht, fehlt ihnen oft die passende Antwort und sie erwidern mit Sätzen wie »Entschuldigung, ich habe Ihre Frage nicht verstanden«. Solche Entschuldigungen sind bei KI-basierten Bots wesentlich weniger verbreitet, da sie dank Computerverständnis und Algorithmen zur natürlichen Sprachverarbeitung gesprochene Worte in Echtzeit erfassen und verarbeiten können. Im Kundenservice sind KI-gestützte Bots ständig verfügbar, können gleichzeitig viele Kunden betreuen und deren aktuelles Anliegen in Zusammenhang mit der Kundenhistorie oder ähnlichen Problemen anderer Kunden bringen.
Die kurze Tour durch den Kundenlebenszyklus zeigt: Der technologische Fortschritt, allen voran das Internet, hat globalisierte und digitalisierte Märkte hervorgebracht, in denen Kaufentscheidungen oft von Faktoren wie Sichtbarkeit, Vernetzung und Servicegrad beeinflusst werden. In diesem Umfeld spielt die effektive Verarbeitung der entstehenden Datenmassen eine entscheidende Rolle, und hier können KI-Lösungen als tragende Säulen fungieren.
Autorin: Verena Fink (Woodpecker Finch), aus: Annual Multimedia 2024, ISBN 978-3-96186-073-9, metropolitan im Walhalla Fachverlag, November 2023.