Wilma Feuersteins Geschirrspülmaschine
Helmut Müller, Gründer und Geschäftsführer mRobota
»Wenn die Kunden unser Lizenzmodell verstehen, ist es Zeit, es zu ändern«. Dieses Motto eines internationalen Softwarekonzerns macht klar, worum es im Kern geht: Ein Produkt, z.B. Künstliche Intelligenz, oder eine Dienstleistung mit möglichst viel Mysterium aufzuladen. Die Kunden über eine etwaige Banalität im Unklaren zu lassen … Das neueste aufgeblasene Mysterium nach Big Data, Salesforce und AdTech ist die »Künstliche Intelligenz« / KI / AI / Machine Learning.
Ein Vertriebsleiter eines meiner ehemaligen Software-Unternehmen ist nun Global Account Manager bei einem dieser internationalen Software-Anbieter, und ich habe ihn gefragt, was ich mir unter der dort angebotenen Künstlichen Intelligenz vorstellen darf: »Ach, Helmut, die Künstliche Intelligenz von heute ist wie der Geschirrspüler von Wilma Feuerstein: Der ist aus Stein, und drin sitzt der Affe, der spült ab«.
Intelligenz hat insbesondere mit Intuition, Emotion und Kreativität zu tun. Kunst, Innovation und Pionierleistungen sind deren positive Ergebnisse. Falschheit, Lüge und Aggression sind die Kehrseite. Wer glaubt, Künstliche Intelligenz verfüge über diese Eigenschaften, »hört gerade die Marketing-Langspielplatte«, wie Chris Boos es auf den Punkt bringt – sein deutsches Unternehmen beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit Künstlicher Intelligenz. »Alles, was ein Prozess ist, kann durch Künstliche Intelligenz betrieben werden«, ist eines seiner präzisierenden Statements.
Künstliche Intelligenz: die Substanz
Wir sprechen also bei Künstlicher Intelligenz im Prinzip nach wie vor über gute, alte, regelbasierte Softwaresysteme: Wenn dies gegeben ist, mach als nächstes das, ansonsten jenes. Heute sind Softwaresysteme freilich keine Klick-Klack-Kluck-Systeme mehr wie einst:
- Es können dank exponentiell gestiegener Speichermedien viel, viel mehr Daten als Entscheidungskritierien verwendet werden (Big Data).
- Es können dank exponentiell gestiegener Rechenleistung viel, viel mehr Detail-Regeln der Maschine aufgegeben werden, und es können viel, viel mehr Daten in viel kürzerer Zeit analysiert und verarbeitet werden.
- Und es gibt dank der heute existierenden Tatsache, dass alles miteinander vernetzt ist, vom Kunden über Geräte bis zu Bausteinen, die Möglichkeit des Rückkanals. Das wiederum gibt unserem Regelwerk die Möglichkeit, Ergebnisse einer Regelausführung zu messen und die Erkenntnisse bei der nächsten im Prozess fälligen Regelausführung zu berücksichtigen, um dann die darauf folgenden neuen Ergebnisse wiederum zu bewerten.
Nun es ist dank dem Stand der Technik auch möglich, den Regeln zu erlauben, innerhalb vorgegebener Prozedur-Spielräume Zufallsentscheidungen zu treffen, sich diese zu merken und dann zu »lernen«, eine solche Zufallsregel wieder anzuwenden, wenn die Ergebnisse positiv waren: Machine Learning, Künstliche Intelligenz, Stand heute.
HUIUIUI!: KI entwickelt Eigenleben, eine eigene Sprache!
Anekdotische Evidenz für das Mysterium Künstlicher Intelligenz ist die Schnurre von zwei Software-Algorithmen, die vorgeblich anfingen, eine eigene Sprache zu entwickeln, in der sie miteinander verhandelten und die die Menschen nicht mehr verstanden. Nur durch das Ziehen des berühmten Steckers konnte dem unabsehbaren Treiben ein Ende gesetzt werden. Im Nachhinein stellte sich die banale Wirklichkeit heraus: Durch zu großen Spielraum in den Regeln war es den Algorithmen erlaubt, unwesentliche Sprachkonventionen der Effizienz halber einfach wegzulassen.
Nicht dass ich falsch verstanden werde: Als Software-Erfinder bin ich weiß Gott kein Luddit oder Aluhut-Träger. Aber man sollte schon wissen, was die Faktenbasis ist, im Gegensatz zur Marketing-Langspielplatte mit ihren Mystifizierungen, die dazu dienen, dem Laien etwas vorzugaukeln und anzudrehen.
Nichts wächst von selbst aus dem Nichts
Der heutige Stand der Technik bietet fantastische Möglichkeiten, im positiven wie im negativen Sinn. Wer jedoch im betriebswirtschaftlich-organisatorischen Einsatz-Umfeld daran glaubt, dass eine gegen teures Entgelt installierte Zauber-KI von selbst seinen Laden aufräumt, seine ineffizienten Prozesse geradebiegt, sein Produktportfolio aufräumt, digital-kompatible Geschäftsmodelle aus dem Hut zaubert oder der bräsigen Belegschaft Kundenzentrierung einimpft, glaubt auch ans Christkind. Es hilft nichts: kein Input (an klugen und durchaus komplexen Regeln), kein Output. Es wächst nichts von selbst aus dem Nichts.
Neuronale Netze?
Aber da ist dann doch noch das Zeug mit diesen sagenhaften neuronalen Netzen, das alles das tun wird, wozu wir zu blöd oder zu faul sind?! Auch hier hilft Chris Boos zur Einordnung: »Das bisher größte künstliche neuronale Netz hat eine Milliarde Neuronen. Um das laufen zu lassen, braucht es ein halbes Atomkraftwerk. Das Gehirn eines Menschen hat 86 Milliarden Neuronen, und es läuft mit 20 Watt. Und im Gehirn laufen auch noch jede Menge chemische Prozesse ab …«.