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VERMUTLICH WAR ES NOCH NIE SO AUFREGEND, KREATIVER ZU SEIN

CREATIVE AI: REVOLUTION IN DER KREATIVINDUSTRIE UND AUFMERKSAMKEITSÖKONOMIE.

Generative Künstliche Intelligenz (AI) sorgt derzeit für ein Beben in der Kreativindustrie. Maschinen sind mittlerweile nicht nur dazu in der Lage, Inhalte wie Texte, Bilder, Videos und Musik zu erstellen, sondern dies auch in einer Qualität zu tun, die oft selbst professionellen Maßstäben genügen. Viele Marktteilnehmer und -Beobachter propagieren daher eine recht dystopische Weltsicht und prophezeien eine Welt ohne Kreativberufe, Agenturen und Medien. Eine Sicht, die ich ausdrücklich nicht teile.

VERÄNDERUNGEN IN DER BERUFSWELT UND DER AUFMERKSAMKEITSÖKONOMIE

Tatsächlich wird es unweigerlich zu massiven Veränderungen in vielen Berufen der Kreativindustrie kommen. Jobs von Autoren, Designern, Musikern, Fotografen, aber auch Produkt- und Modedesignern, Architekten usf. werden sich fundamental ändern. In einer Welt, in der Inhalte mit minimalem finanziellem Einsatz erstellt werden können, wird es zu einer Überflutung von Medieninhalten und Kreativ-Output kommen. Das Erstaunliche: Viele dieser Creative-AI-Tools sind so benutzerfreundlich, dass nicht nur Profis, sondern auch Laien sie nutzen können. Tatsächlich entstehen derzeit in schneller Folge viele Werkzeuge und Apps, die vor allem auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten von Nicht-Profis zugeschnitten sind. Auf diese Weise können auch Amateure durch Erstellung von Medieninhalten mit Profis in den Wettbewerb um das wertvollste Gut treten - die Aufmerksamkeit.

Ein Phänomen, das nicht vollkommen neu ist, denn bereits mit dem Aufkommen von Social Media hat sich die Gewichtung verschoben und Aufmerksamkeitsökonomie wurde zunehmend von sogenanntem User Generated Content bestimmt. Dies wird nun mit Creative AI einen Höhepunkt erleben. Während in der Social-Media-Ära Menschen Inhalte schaffen, die von Algorithmen optimiert verbreitet und ausgewählt werden, werden wir schon in Kürze erleben, dass künftig Maschinen auch Inhalte und künstlerische Artefakte erstellen und Maschinen diese Inhalte weiterhin gezielt in die Timelines und Aufmerksamkeitszonen der Menschen und Konsumenten platzieren. Durch die automatisierte Inhalte-Erstellung, die in vielen Fällen sogar in Echtzeit durchführbar sein wird, werden Optimierungs- und Feedback-Schlaufen möglich, die mithilfe ungekannter Personalisierung wertvolle Aufmerksamkeit auf sich ziehen und erstaunliche Kommunikationserfolge erzielen können werden.

DER KAMPF UM AUFMERKSAMKEIT INTENSIVIERT SICH

Mit der steigenden Anzahl generierter Inhalte wird auch der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Menschen erheblich steigen. Der Kosten- und Zeitvorteil maschineller Produktion ist offensichtlich: Inhalte können zu minimalen Grenzkosten und ohne Verzögerung generiert werden. Das Verschwinden technischer und finanzieller Barrieren ermöglicht es in vielen Fällen, vollautomatisch und ohne menschliches Zutun brauchbare Medieninhalte zu erstellen. Einfache Aufgaben, die bisher von Menschenhand durchgeführt wurden, wie Produktbeschreibungen, Übersetzungen, Layouts von Zeitungen und Social Media Posts oder Hintergrundmusik, werden bald vollständig automatisiert werden.

Natürlich hat diese Explosion an Inhalten eine Kehrseite. In einer Welt, in der die Menge an verfügbaren Medieninhalten exponentiell wächst, während die Zeit, die der Einzelne für den Medienkonsum zur Verfügung hat, weitgehend konstant bleibt, wird der Wettbewerb um die ungeteilte Aufmerksamkeit der Konsumenten intensiver denn je: Maschinen, Amateure, Profis — alle werden zu Akteuren in diesem Kampf. Daher geht es nicht nur um Quantität; die Qualität der Arbeit wird den Unterschied ausmachen. Um sich in diesem Tsunami von Inhalten zu behaupten, wird es unabdingbar, herausragende Kommunikationsmittel und -strategien und genau passende Inhalte und Konzepte zu entwickeln.

MENSCH VS. MASCHINE: WER BRINGT DIE INNOVATION?

Trotz der beeindruckenden Fähigkeiten der Generativen AI gibt es noch einige Bereiche, in denen sie bislang an strukturelle Grenzen stößt. Die verblüffenden maschinellen Fähigkeiten sind die Folge des maschinellen Lernens, bei dem Maschinen alle Inhalte der Kulturgeschichte verarbeiten und zu neuen Inhalten synthetisieren. Im bereits beschriebenen intensivierten Kampf um Aufmerksamkeit wird aber mehr denn je echte und brauchbare Innovation gefordert, die Überraschung und emotionale und faktische Relevanz kombiniert. Ein derart hohes Niveau in der Kreation setzt allerdings tiefgehendes kulturelles und vor allem auch emotionales Verständnis voraus — Qualitäten, die bisher nur der Mensch besitzt. Eine Fähigkeit, die nach meiner Einschätzung — auch noch sehr lange — Menschen vorbehalten bleiben wird.

PROMPTS UND PROMPT-ENGINEERING

Derzeit wird viel über die Kraft der »Prompts« gesprochen — einfache vermeintlich natürlich-sprachige Anweisungen, die dazu führen, dass AI beeindruckende kreative Arbeiten produziert. Die Kunst, diese Prompts zu erstellen, wird als »Prompt-Engineering« bezeichnet. Da es sich in Teilen tatsächlich um eine künstlerisch-kreative Fähigkeit handelt, bevorzuge ich den Begriff »Prompt-Crafting«. Einige glauben, dass diese Fähigkeit nur eine Zwischenstation ist und bald durch noch fortschrittlichere AI-Modelle ersetzt wird, die es noch leichter machen, kreative Arbeit zu verrichten. Das ist sicherlich richtig. Eine Kategorie von AI-Tools wird versuchen, die Kreativproduktion immer weiter zu vereinfachen, um sie noch weiteren Nutzerkreisen zu öffnen. Gleichzeitig aber ist es aus meiner Sicht wahrscheinlich, dass professionelle Kreative auch weiterhin Kontrolle über das Wirken der AI-Modelle behalten wollen, um die geforderten aufmerksamkeitsstarken Überraschungen und Innovationen schaffen zu können, die im künftigen Kampf um Aufmerksamkeit gefordert sein werden.

Das tiefe Verständnis von menschlichen Kulturen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen und die vielfältigen Besonderheiten einer jeden Kreativaufgabe werden weiterhin von Menschen in die Gleichung eingebracht und möglichst differenziert und kontrolliert Maschinen zur Umsetzung übergeben. Kontrolle ist wirkungsvoller als Ease of Use. Daher ist zu erwarten, dass es neben den Ease of Use-Angeboten eine wachsende Zahl von Kontroll-Angeboten geben wird, die Gestalterinnen und Gestaltern die Möglichkeiten geben, den Arbeitsprozess und Output ganz genau zu steuern.

Viele dieser »Professional-Tools« werden eher aus dem Open Source Software-Umfeld kommen. Stable Diffusion und das darauf basierende Ökosystem sind vermutlich nur ein Vorbote davon. Wir werden Werkzeuge sehen, die die Texterstellung wesentlich besser steuerbar machen, als dies mit dem derzeit allgegenwärtigen ChatGPT möglich ist — erste Open Source Large Language Models sind bereits am Entstehen. Auch in Medien-Kategorien, die derzeit noch gar nicht oder erst ganz zaghaft mit AI-Tools versorgt werden — beispielsweise 3D und Bewegtbild — werden derartige Professional-Tools für Kreative bereitstehen, die Kontrolle über den Prozess ermöglichen.

Wie auch im Feld »klassischer« Kreativarbeit gibt es nicht das eine, alle Fragen lösende Werkzeug im Feld professioneller AI-Tools. Ganz im Gegenteil handelt es sich bei den meisten der AI-Modelle um typische One-Trick-Ponies, die eine bestimmte Aufgabe, beispielsweise die Erstellung eines Bildes, lösen können, andere Teilaufgaben dagegen in der Prozesskette nicht, oder nicht gut erledigen können. Daher werden Kreative sich auch künftig ihre Tool-Chain selbst zusammenstellen wollen und müssen und im Verlauf des jeweiligen Entstehungsprozesses mehrere Werkzeuge nacheinander einsetzen. Wie bereits heute ist das Wissen um Tools und die Fähigkeit, diese in der richtigen Reihenfolge und richtigen Weise einzusetzen, eine der Fähigkeiten, die Designerinnen und Designer entwickeln müssen.

GRENZEN ÜBERWINDEN

Häufig wird im Zusammenhang mit Generativer AI von Demokratisierung gesprochen. Gemeint ist der Umstand, dass Werkzeuge Menschen befähigen, Ergebnisse zu schaffen, die sie zuvor nicht schaffen konnten. Laien können mithilfe von in Smartphones eingebauten Algorithmen Fotos schaffen, wie es Profis selbst mit bestem Profi-Equipment nicht möglich gewesen wäre. Über den damit einhergehenden Kontrollverlust hinsichtlich der Details des Ergebnisses war in diesem Artikel bereits die Rede. Tatsächlich verbreitert(e) sich auf diese Weise die Anzahl der »Fotokreativen« erheblich.

Ob der Begriff Demokratisierung in diesem Zusammenhang gerechtfertigt ist, muss bezweifelt werden, denn eine tatsächliche Egalisierung erfolgt ja nur sehr partiell. Eine Überwindung von Grenzen des Möglichen für jeden Einzelnen ist aber tatsächlich vorhanden. So können mithilfe von AI-Tools auch professionelle Kreative Grenzen ihrer Profession überwinden. Kreative, die bislang keine Fähigkeiten im Bereich der Musikproduktion hatten, können plötzlich Musik erstellen. Grafik-Designer plötzlich Texte erstellen, Musiker 3D-Modelle generieren und Videos erzeugen usf. Auch aus dieser Perspektive stehen wir vor einer Explosion von Inhalten und Kreativ-Outputs, die um die Aufmerksamkeit kämpfen, und es bleibt abzuwarten, ob beispielsweise Musik, die von nicht musikalisch gebildeten Kreativen geschaffen wurde, in diesem Wettbewerb tatsächlich besser sein kann und wird. In jedem Fall aber setzt disziplinübergreifendes Arbeiten ja bereits heute auch ein disziplinübergreifendes Designverständnis voraus. Ein Umstand, der sich künftig voraussichtlich auch dann nicht verändern wird, wenn Maschinen helfen, die Disziplinen-Grenzen weiter zu verwischen.

MENSCH UND MASCHINE: EINE NEUE ZUSAMMENARBEIT

In der zukünftigen Kreativindustrie wird die Rolle des Menschen darin bestehen, die kreative Vision zu definieren und den Maschinen klare, umfassende Anweisungen zu geben. Die AI wird dann diese Anweisungen befolgen und eine Fülle von Arbeitsergebnissen liefern. Es liegt dann am Menschen, diese Ergebnisse zu kuratieren und die besten auszuwählen.

Es scheint wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass AI-Tools nicht nur bei der tatsächlichen Erstellung von Kreativ-Output eine Rolle spielt, sondern komplett entlang der gesamten Prozesskette kreativer Arbeit, die ja häufig — vor dem Schaffen — eine Phase der Recherche und der Ideenfindung erfordert. Es ergibt Sinn, daran zu erinnern, dass Google ja ebenfalls ein AI-Tools ist (allerdings in der Regel nicht als solches bezeichnet wird), aber ganz selbstverständlich aus der Recherchearbeit nicht wegzudenken ist. Genauso können AI-Tools auch als geduldige und unerschöpflich Beiträge produzierende Sparringspartner in der Ideenfindung eingesetzt werden und müssen nicht notwendigerweise immer auch bei der Produktion des eigentlichen Outputs zum Einsatz kommen. Warum nicht mithilfe von ChatGPT und Stable Diffusion eine Idee schaffen, die anschließend in ganz analogem Kartoffeldruck umgesetzt wird?

VOM MANGEL ZUM ÜBERFLUSS

In der Vergangenheit stellte nicht selten der Mangel an Zeit, technischen Fähigkeiten und anderen Ressourcen eine wesentliche Triebkraft für Kreativprozesse dar. Das durch praktische Widerstände und Unmöglichkeiten erzeugte Unvermögen erforderte nicht selten kreative und praktische Umwege, die häufig die besseren Lösungen darstellten. Jeder im Kreativ-Feld Tätige kennt dieses Phänomen.

Die Fähigkeit der AI, eine nahezu unendliche Anzahl von Variationen in kürzester Zeit zu produzieren und die Möglichkeit, alles auch nur ansatzweise Denkbare zu erschaffen, führt zu einer neuen Herausforderung für Kreative. Statt in einem vertrauten Umfeld des Mangels zu arbeiten, müssen sie nun lernen, mit Überfluss umzugehen. Das bedeutet ebenfalls einen Paradigmenwechsel, mit dem Kreative zurechtkommen müssen. Ein Dilemma, das nicht nur in der Erstellung endgültiger Medien und Arbeitsergebnisse, sondern auch in den vorangehenden Phasen der Ideenfindung Einfluss nimmt.

ETHIK UND VERANTWORTUNG, ECHTHEIT UND AUTHENTIZITÄT

Mit der Fähigkeit von KI, massenhaft Inhalte zu generieren, steigt auch die Gefahr von Fehlinformationen oder unerwünschten Inhalten. Wer übernimmt die Verantwortung für von KI erstellte Inhalte, die Schaden anrichten könnten? Wie können wir verhindern, dass Konsumenten durch ungeahnte Personalisierung übermäßig manipuliert werden, ohne dies überhaupt erkennen zu können? Fragen, mit denen sich die Kreativindustrie proaktiv auseinandersetzen muss, um letztlich glaubwürdig bleiben zu können.

Die Gesellschaft wird lernen müssen, damit umgehen zu können, dass synthetisch erzeugte Inhalte — die heute häufig als Fake bezeichnet werden — nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellen: »Fake bei Default«. Eine häufig geforderte Kennzeichnung oder Kennzeichnungspflicht von synthetischen Inhalten ist einigermaßen realitätsfern. Schon allein, weil es schwer vorstellbar ist, wer solche Gebote überwachen sollte. Das Problem beginnt schon damit, dass Inhalte zunehmend nicht entweder von Menschen oder Maschinen geschaffen werden, sondern in einem Zusammenspiel zwischen Menschen und Maschinen und daher nicht eindeutig zuordenbar sind.

In einer Welt, in der Maschinen kreativ produzieren, was wird da der Wert echter, ausschließlich menschlich geschaffener Kreativleistung sein? Wird es eine Renaissance der handgemachten Kreativität geben, die sich als Gegenreaktion zur maschinell generierten Kunst entwickelt? Vermutlich wird es dazu kommen. Es ist aber fraglich, welche wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung derartige Medienproduktion haben kann, angesichts der massiven Skalierung durch Generative AI im Gesamtmarkt.

AUSBILDUNG UND WEITERBILDUNG

Noch ist vollkommen offen, welche Veränderungen sich im Bereich der Aus- und Weiterbildung ergeben. Natürlich müssen Kreative in der Nutzung komplexer AI-Tools unterwiesen werden. Es liegt daher nahe, eine Abschaffung von traditionellen Techniken und Methoden zugunsten der reinen AI-Computer-basierten zu fordern. Bedenkt man aber die menschliche Rolle im Zusammenspiel und die geforderte Fähigkeit, komplexe und umfassende Briefings und Aufgaben für die Maschinen zu erzeugen, erscheint es im neuen Set-up wichtig, dass gerade traditionelle Kompetenzen — die Fähigkeit Farben, Formen und Komposition schlüssig beurteilen zu können — wichtig werden. Die Kenntnis von Kulturgeschichte und die Fähigkeit, gewünschte kulturelle Zitate aus Hoch- oder Popkultur auch treffsicher benennen zu können, ist ebenso bedeutend und kann nicht einfach vernachlässigt werden.

Ebenso werden Kreative noch stärker als heute ein gründliches Verständnis gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Zusammenhänge in ihre Zusammenarbeit mit AI-Modellen einbringen müssen. So ist es vermutlich eher wichtig, die Palette der Fähigkeiten in der Ausbildung zu erweitern als einzuschränken. Die Anforderungen an professionelle Kreative werden sprunghaft steigen. In meinen Augen ist es daher empfehlenswert, sich als Kreativschaffender noch mehr als bislang mit Kunst- und Kulturgeschichte, Psychologie, Soziologie, Wirtschaft und letztlich auch Politik zu beschäftigen. Die Zeiten des Einsiedlers als Autor sind vermutlich eher vorbei.

Wenn zunehmend Maschinen einfache und wenig komplexe Aufgaben übernehmen, die derzeit häufig von Menschen am Beginn ihrer Berufslaufbahn ausgeführt werden, ergeben sich auch neue Karriere-Pfade. Wie der Einstieg in Unternehmen gelingen kann, wenn die Basis, gewissermaßen die ersten Stufen der professionellen Leiter, fehlt, ist noch nicht klar. Diese Frage wird aber von Unternehmen und in der Aus- und Weiterbildung schon in Kürze beantwortet werden müssen. Ebenso werden Unternehmen mit großen Belegschaften Antwort auf die Verunsicherung unter ihren Mitarbeitern finden müssen, die die hier beschriebenen Veränderungsdynamiken ergeben, wenn die Transformationsphase überhaupt überlebt werden soll.

DIVERSITÄT UND KI-BIAS

KI-Modelle lernen von den Daten, mit denen sie gefüttert werden. Werden die von KI erstellten kreativen Werke die Vielfalt und Unterschiedlichkeit menschlicher Kreativität widerspiegeln oder besteht die Gefahr, dass sie Stereotypen und Vorurteile weiter verstärken?

Viele der derzeit stark beachteten Generativen AI-Modelle sind leider außerordentlich intransparent. Mit welchen Datensätzen Open.ai sein Sprachmodell GPT trainiert hat, ist nicht öffentlich. Welche Methoden des Finetunings Anwendung finden und aus welchen Gründen, gibt das Unternehmen nicht bekannt. Genauso verhält es sich mit vielen anderen Modellen — beispielsweise dem Bildgenerator Midjourney. Diese Intransparenz ist außerordentlich problematisch. Nicht nur, weil eine gesellschaftlich-politische Kontrolle dadurch unmöglich ist, was erhebliche Gefahren mit sich bringt. Auch ist es auf diese Weise für Kreative nicht einfach möglich, die ungewollte Wiederholung von ästhetischen Mustern zu vermeiden, was im Bemühen um Exzellenz im Kampf um Aufmerksamkeit notwendig ist.
Daher begrüße ich die Entwicklung zu OpenSource außerordentlich. Stable Diffusion und das Sprachmodell Llama2, das vom Facebook-Mutterkonzern Meta zum Erstaunen Vieler ebenfalls open source veröffentlicht wurde, sind gute Beispiele dafür, dass die Zukunft von Generativer AI — zumindest in den nächsten Jahren — Open Source sein wird. Kreative sollten sich vehement dafür einsetzen, denn nur auf diese Weise ist es möglich, ästhetische Biases (Voreingenommenheiten) zu vermeiden, die natürlich den Tod der Kreativität bedeuten. Nicht die Macher von Open.ai und Midjourney sollten (ganz subtil) über den Output von Kreativen entscheiden, sondern die Kreativen selbst!

FAZIT

Die Kreativindustrie steht vor einer massiven Umwälzung, der alle Akteure — die Kreativen selbst, aber auch Agenturen und Medienplattformen sowie die Auftraggeber — ausgesetzt sind. Es steht außer Frage, dass diese Umwälzungen nicht nur Gewinner, sondern auch viele Verlierer kennen und auch viele gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Fragen aufwerfen wird, die heute noch nicht abschließend geklärt sind. Diejenigen, die sich rasch und unvoreingenommen diesem Wandel stellen und versuchen, ihre Strategie und aktuelle Tätigkeit umfassend anzupassen, werden zu den Gewinnern zählen. In der neuen Ära gilt es, beides zu tun: Generative-AI-Technologie einsetzen und die eigenen und weiterhin einzigartigen menschlichen Fähigkeiten einbringen. Es steht außer Frage, dass die Kreativindustrie eine spannende Zukunft vor sich hat und weiterhin einen entscheidenden Beitrag in der Aufmerksamkeitsökonomie spielen wird. Vermutlich war es noch nie so aufregend, Kreativer zu sein, aber auch noch nie so herausfordernd.

Autor: Prof. Peter Kabel, aus: Annual Multimedia 2024, ISBN 978-3-96186-073-9, metropolitan im Walhalla Fachverlag, November 2023